Heideggers Nationalsozialismus:
Das ungelöste Rätsel
Hans Sluga
(Unveröffentlichter Vortrag, Humboldt Universität, Berlin, Mai 1998)
1.
Der 28. Mai 1933 war ein Unglückstag für Martin Heidegger, aber das sollte ihm erst viel später offenbar werden, und selbst dann hat er das, öffentlich jedenfalls, nur unwillig und verklausuliert zugegeben. Der Tag war auch ein entscheidender Augenblick für die ganze deutsche Philosophie und mehr noch: ein entscheidender Moment für die Philosophie insgesamt, aber das ist beides bis heute noch nicht so ganz klar und soll das eigentliche Thema dieses Vortrages bilden.
Am 28. Mai 1933 wurde Heidegger Rektor der Universität Freiburg. Das wäre unter andern Umständen wahrscheinlich kein Ereignis von größerer Bedeutung gewesen. Das Rektorat wechselte damals in Freiburg, wie auch anderswo, seinen Inhaber im Jahresrhythmus. Über die Jahrzehnte weg sind viele deutsche Professoren und auch manche deutsche Philosophen Rektoren ihrer Universitäten gewesen. Im Allgemeinen wird so etwas bald vergessen; es verbleibt als eine Zeile im Lebenslauf der Betroffenen, als Eintrag in einem akademischen Kalender, manchmal als offizielles Portrait, das in irgendeinem Korridor mit ähnlichen Konterfeis früherer Rektoren verdunkelt, vergilbt, verstaubt, und vergessen an irgendeiner Wand hängt.
Heideggers Rektorat war anders. Er trat es, fast genau vier Monate nach dem Adolf Hitler in Deutschland zur Macht gekommen war, an und tat dies als Zeichen seiner Übereinstimmung mit dem neuen Regime an, als Signal seiner politischen Unterstützung der Naziherrschaft. Heideggers Amtsübernahme war nicht nur ein akademisches Ereignis, sie war zugleich eine politische Demonstration.
Ich brauche Sie nur in wenigen Worten an die Lage in Deutschland im Frühjahr 1933 zu erinnern. Am 30. Januar war Hitler vom deutschen Reichstag unter Wahrung der legalen Formen zum Kanzler gewählt worden. Zu dem Zeitpunkt war mancher Deutsche überzeugt, dass Hitler nun seine radikale Sprache mäßigen würde, dass die Politik der neuen Regierung, die ja auch Nicht-Nationalsozialisten in ihren Reihen hatte, einen gemäßigten Kurs steuern würde. Es kam aber bald schon anders. Im Februar brannte der deutsche Reichstag und das gab den Nationalsozialisten die Gelegenheit, den Ausnahmezustand zu verkünden. Die politischen Parteien wurden verboten, Gegner des Regimes verhaftet, die ersten Konzentrationslager wurden geöffnet, und die Kommunisten mit harter Gewalt verfolgt. Im März verlor der Reichstag seine gesetzgeberische Unabhängigkeit und zugleich wurde die föderale Ordnung der Weimarer Republik abgeschafft. Im April kam es zum organisierten Boykott jüdischer Geschäfte, und jüdische Mitbürger wurden durch ein neues Gesetz aus ihren Beamtenstellungen entfernt. Dabei kam es auch zu Massenentlassungen an den deutschen Universitäten. Mehr als zwanzig deutsche Philosophen verloren bei dieser Gelegenheit ihre Positionen. Unter ihnen, an erster Stelle, Ernst Cassirer, aber auch der Phänomenologe Moritz Geiger, der logische Positivist Hans Reichenbach, der Vertreter der philosophischen Anthropologie Ernst Plessner, der Psychologe William Stern, und die führenden Köpfe der Frankfurter Schule Max Horkheimer und Theodor Adorno. Zum gleichen Moment wurden andere, nicht-jüdische Professoren wegen politischer Unverlässlichkeit ihrer Ämter beraubt. So der Religionsphilosoph Paul Tillich, der Philosophiehistoriker Ernst von Aster und der Philosoph der Biologie Hans Driesch. Die Entlassungen gingen quer durch die philosophischen Schulen und Richtungen.
Heidegger wusste, um was es ging, als er sich im April 1933 bereit erklärte, das Freiburger Rektorat zu übernehmen. Im Herbst des Vorjahres hatte die Fakultät den Juristen von Möllendorf zum Nachfolger des scheidenden Rektors, des Theologen Joseph Sauer, gewählt. Als entschiedener Anhänger der Weimarer Demokratie war von Möllendorf aber nun nach der politischen Wende nicht mehr tragbar. Durch Mittelleute, insbesondere den Ordinarius der klassischen Philologie, Wolfgang Schadewaldt, der selbst ein überzeugter Anhänger des neuen Regimes war, ließ sich Heidegger als Ersatz für von Möllendorf empfehlen.
Das Resultat war, dass Heidegger am 21. April mit fast allen Stimmer der wahlberechtigten Professoren zum neuen Rektor gewählt wurde. Mit seiner Wahl wurde Heidegger zu einer öffentlichen, politischen Persönlichkeit. Am 1. Mai trat er trotz früherer Bedenken in die NSDAP ein. Er tat dies allerdings erst zu einem Augenblick, als viele andere Deutsche den selben Schritt unternahmen. Im Mai 1933 waren Hitler und seine Partei populärer, als sie es noch am Anfang des Jahres gewesen waren. Es sah jetzt aus als ob das neue Regime erst einmal für geraume Zeit an der Macht bleiben würde. Die, die bis jetzt gezögert hatten, drängten sich daher nun in die Partei – teils aus Überzeugung und teils aus Opportunismus. Der Andrang war so groß, dass sich die Partei gezwungen fühlte, die Aufnahme neuer Parteigenossen mit dem 1. Mai zunächst einmal zu beenden. Es war genau unter diesen Umständen, dass Heidegger – sozusagen zur letzten Minute – Parteigenosse wurde. Das lokale Parteiblatt begrüßte ihn dennoch mit Freudenrufen. In dessen Bericht heißt es:
Am Tage der deutsche Arbeit, am Tage der Volksgemeinschaft, vollzog der
Rektor der Freiburger Universität Professor Dr. Martin Heidegger seinen
offiziellen Eintritt in die NSDAP. Wir Freiburger Nationalsozialisten sehen
in diesem Akt mehr als eine äußerliche Anerkennung der vollzogenen
Umwälzung und der bestehenden Machtverhältnisse…Wir Freiburger sind stolz
darauf, daß dieser überragende Denker an unserer Hohen Schule wirkt…
(Schneeberger, S. 23)
Nur darf man ein solches Parteigeschwätz nicht zu ernst nehmen. Seine Phraseologie entlarvt sich selbst. Es besteht kein Grund anzunehmen, dass diese Sätze auf einer intimen Kenntnis von Heideggers Denken und seiner Motive beruht. Aber dass er öffentlich so gesehen wurde, kann Heidegger kaum entgangen sein, und er hat sich damals in keiner Weise, weder öffentlich noch privat, von solchen Darstellungen distanziert. Heidegger wusste also, was die symbolische Bedeutung seines Rektorats war, obwohl er es später immer wieder abgestritten hat.
Dabei hatte er es keineswegs nötig gehabt, sich dermaßen politisch zu exponieren. Viele andere deutsche Professoren einschließlich vieler deutscher Philosophen haben sich damals vorsichtig zurückgehalten, selbst solche, die dem neuen Staat nicht total feindlich gegenüber standen. Denn, erst einmal, hatte es eine lange Tradition politischer Neutralität an den deutschen Universitäten gegeben. Dazu kam noch, dass man ja nie wissen konnte, wie lange dieses neue Regime an der Macht sein würde. Heidegger hat später einmal geklagt, dass alles anders gekommen wäre, wenn andere sich damals so wie er eingesetzt hätten. Er selbst war jedenfalls damals unter dem Böllschen Motto: “Es muß etwas geschehen!” in die Partei eingetreten, hatte sich politisch durch die Übernahme des Rektorats engagiert, und war bereit gewesen, sich öffentlich für die Politik des Führers einzusetzen. “Nicht Lehrsätze und ‚Ideen’ seien die Regeln Eures Seins,” erklärte er den Freiburger Studenten am Anfang des Wintersemesters 1933 dementsprechend. “Der Führer selbst und allein ist die heutige und künftige deutsche Wirklichkeit und ihre Gesetz.” (Schneeberger, S. 135f.) Kurz darauf erklärte er in einem Aufruf zur Reichstagswahl und Volkabstimmung vom 12. November:
Am 12. November wählt das deutsche Volk als Ganzes seine Zukunft. Diese ist
an den Führer gebunden… Es gibt nur den einen Willen zum vollen Dasein des
Staates. Diesen Willen hat der Führer im ganzen Volk zum Erwachen gebracht
und zum einzigen Entschluß zusammengeschweißt. Keiner kann fernbleiben
am Tag der Bekundung dieses Willens. (Schneeberger, S. 145f.)
Die Reichstagswahl, so sagt Heidegger hier doch wohl, ist eigentlich gar keine Wahl, sondern eine Bekundung. Es gibt keine demokratische Freiheit sondern nur die Übereinstimmung mit dem Willen des Führers. Diese Übereinstimmung praktizierte er dann auch selbst in seinem Rektorat.
Am Anfang dieser Periode war Heidegger zum ersten Mal nach seiner Wahl beim Anfang des Sommersemesters 1933 politisch in Erscheinung getreten. Die Gelegenheit dazu bot ihm seine Vorlesung zu “Grundfragen der Philosophie”, die er am 6. Mai begann. Heideggers Eintritt in den Hörsaal war ein erregender Augenblick.
Das Auditorium maximum war bis auf den letzten Platz besetzt und mit
gespanntester Aufmerksamkeit wurden die einleitenden Ausführungen über
die Aufgaben der akademischen Jugend von heute aufgenommen. Prof.
Heidegger führte unter anderem auf, daß die akademische Jugend
Deutschlands sich heute im Aufbruch befinde. Sie stehe zu ihrer Berufung
und lebe aus dem Willen, Zucht und Erziehung zu finden, die sie reif und
stark mache zur geistig politischen Führerschaft, die für die kommenden
Geschlechter aufgetragen wurde. Es sei die Frage, ob wir eine geistige Welt
schaffen wollen oder nicht. Können wir dies nicht, dann werde irgendeine
Barbarei über uns kommen und wir würden als geschichtliches Volk
endgültig ausgespielt haben. (Schneeberger, S. 27)
Mit solch apokalyptischen Worten versuchte Heidegger also, nach dem Zeitungsbericht, seinen Studenten den Augenblick und seine eigene politische Entscheidung zu erklären. Auf der einen Seite lagen Barbarei, “irgendeine Barbarei”, und historische Niedergang, auf der anderen politische und geistige Führerschaft. Heidegger wusste, auf welcher Seite er stand.
Die einführenden Worte zu seiner Vorlesung waren aber nur die Bühnenprobe für sein Erscheinen bei der feierlichen Rektoratsübergabe wenige Wochen später an dem schon genannten 28. Mai. Es lohnt sich, die Gelegenheit etwas näher ins Auge zu fassen, denn wir wissen, dass Heidegger selbst bis in die Einzelheiten der Planung dieser Feier seine Hand im Spiel gehabt hat. Wie sah also dieses von Heidegger selbst inszenierte akademisch-politische Fest aus?
In Heideggers Händen wurde die Rektoratsübergabe zu einer skurrilen Mischung von Nazi-Rally und traditioneller akademischer Festivität. “Zum ersten Male konnten sich die Sturmfahnen Adolf Hitlers frei entfalten, und das braune Ehrenkleid gab dem äußeren Bild ein neues Gepräge,” so das lokale Naziblatt in seinem Bericht. (Schneeberger, S. 50) Heidegger hatte sicher gestellt, dass alle die ihm selbst wichtigen Persönlichkeiten zugegen waren: die Baden-Württembergischen Kultus- und Innenminister, der Freiburger Erzbischof Gröber, sein alter Lehrer und langjähriger Förderer, der zu diesem frühen Zeitpunkt allgemein als der braune Konrad bekannt war, der nationalsozialistische Oberbürgermeister von Freiburg, die Rektoren der Universitäten Heidelberg und Karlsruhe, Vertreter des Reiches, ein General der Artillerie im Ruhestand, die Freiburger Studenten und deren offizielle, lokale und nationale, Vertreter. “Das äußere Bild in der Aula war insofern gegenüber früher ein anderes, als in der Corona der Chargierten der studentischen Verbindungen mit ihren Couleursfahnen auch eine Abteilung SA.-Leute mit der Hakenkreuzfahne Aufstellung genommen hatte”, schreibt die Freiburger Zeitung am nächsten Tag. (Schneeberger, S. 51)
Zum Beginn der Feier wurde das Horst-Wessel-Lied einstimmig von der Menge gesungen. Der Gesang “durchbrauste mächtig den weiten Saal”. Heidegger hatte persönlich darauf bestanden, dass selbst die ältesten Professoren bei diesem Liede zu stehen hatten, die Hand zum deutschen Gruß erhoben, was aber, so ließ er wissen, keineswegs als eine erzwungene Loyalitätserklärung für Hitler ausgelegt werden sollte.
Die politischen Elemente der Feier waren dabei mit dem traditionellen Zeremoniell einer Rektoratsübernahme durchsetzt. Das städtische Orchester spielte die “Akademische Festouverture” von Johannes Brahms und den Huldigungsmarsch von Richard Wagner sowie, zum feierlichen Einzug der Professoren, “Melodien bekannter Studentenlieder ernsten und heiteren Gepräges”. Die Studenten sangen ihr “Gaudeamus igitur”; die Professoren trugen ihre Talare; die offizielle Amtskette wurde vom scheidenden Rektor dem neuen umgehängt.
Aber worum ging es dabei eigentlich? Was war der Sinn dieser Massendarstellung, größer als Aida in der Ausstattung und von Heidegger selbst in Szene gesetzt? Was wollte Heidegger mit dem ganzen Theater? Wie sah er seine eigene Rolle, die Hauptrolle, in diesem absurden Drama? Zur Antwort auf diese Fragen muss man sich an seinen eigenen Worte wenden, an die Rede, die er für diese Gelegenheit verfasst hatte. Er nannte sie “Die Selbstbehauptung der deutschen Universität” und betrachtete sie wichtig genug, um sie so schnell wie möglich beim Wilhelm Gottlieb Korn Verlag in Breslau erscheinen zu lassen. Da wurde sie dann auch noch mehrere Male während der Nazizeit wiederaufgelegt. Was wollte Heidegger in dieser Rede? In ihr spricht er ausführlich von der geistigen Selbstbehauptung der deutschen Universitäten und von der Notwendigkeit, dem Wesen der Universität treu zu bleiben. Aber die Universität kann ihrem geistigen Wesen nur treu bleiben, so Heidegger, wenn sie zu einer politische Institution wird. So sagt er gleich zu Anfang seiner Ausführungen in dem pathetischen Ton, den er sich für diese Gelegenheit zurechtgelegt hatte:
Der Wille zum Wesen der deutschen Universität ist der Wille zur Wissenschaft
als Wille zum geschichtlich geistigen Auftrag des deutschen Volkes als einem
in einem Staat sich selbst wissenden Volke. (R, S. 10)
Seiner aufgeschwollenen Sprache beraubt, sagt der Satz doch so viel als, dass das Wesen der deutsche Universität im geistigen Auftrag des deutsche Staatsvolkes liegt, dass Geist und Politik nicht voneinander zu trennen sind.
Um den Ton von Heideggers Rede voll zu verstehen, muss man sich noch einmal die apokalyptische Worte in den Sinn bringen, die er am 5. Mai an seine Studenten gerichtet hatte, denn auch jetzt, bei der Rektoratsrede, geht es ihm wieder um den Gegensatz von Barbarei und geistigem Führertum. Die Frage ist für ihn, ob wir uns selbst und die Wissenschaft “einem raschen Ende zutreiben lassen.” (R, S. 10) Was ihn bewegt, ist die hysterische Furcht, dass
die geistige Kraft des Abendlandes versagt und dieses in seinen Fugen kracht,
wenn die abgelebte Scheinkultur in sich zusammenstürzt und alle Kräfte in die
Verwirrung reißt und im Wahnsinn ersticken läßt.” (S. 19)
Wie kam er zu diesen grauslichen Untergangsphantasien, diesen Wahnsinnsängsten? Warum glaubte er, dass gerade jetzt der Moment der Entscheidung darüber anstünde, ob sich diese Phantasien und Ängste verwirklichten oder nicht? “Ob solches geschieht oder nicht geschieht, das hängt allein daran, ob wir als geschichtlich-geistiges Volk uns selbst noch und wieder wollen,” sagte er. “Aber wir wollen, daß unser Volk seinen geschichtlichen Auftrag erfüllt. Wir wollen uns selbst.” (Ebda.) Die andere Seite der Phantasien und Ängste war also die Hoffnung und selbst die Erwartung der “Herrlichkeit” und “Größe” eines neuen “Aufbruchs”. Der Augenblick war somit der einer großen, welthistorischen Entscheidung, an dem Wohl und Wehe der westlichen Welt zur Verfügung stehe.
Es fällt bei näherem Zusehen auf, wie wenig konkret dabei von Politik die Rede ist. Weder Hitler noch der Nationalsozialismus werden in Heideggers Rede beim Namen genannt. Statt dessen zeichnet er ein Bild der Lage, nach dem die dringendste Aufgabe jetzt die Reform der deutsche Universität ist. Denn diese Institution nimmt “die Führer und Hüter des Schicksals des deutsche Volkes in die Erziehung und Zucht.” (S. 16f.) Heidegger wendet sich daher auch direkt in seinen Worten an die anwesenden Studenten. Sie müssen sich jetzt “in die höchste Klarheit und Zucht des Wissens hinaufzwingen.” (S. 18) Heidegger verlangt von ihnen, dass sie sich durch den Arbeitsdienst in die Volksgemeinschaft einbinden, dass sie sich durch Wehrdienst “an die Ehre und das Geschick der Nation” binden, und nicht zuletzt, dass sie der Wissenschaft dienen. Das Volk, so sagt er, “fordert von sich und für sich in seinen Führern und Hütern die härteste Klarheit des höchsten, weitesten und reichsten Wissens.” (S. 15f.)
Indem er so die Erziehungsfrage in den Mittelpunkt der Politik setzt, indem er das Wohl und Wehe der gesamten Kultur – die Frage, ob alles zusammenstürzt und in Wahnsinn erstickt – von der Frage, wie Studenten zu bilden seien, abhängig macht, identifiziert Heidegger sich implizit mit einem philosophischen Politikverständnis, dass in klassischer Weise in Platons Staat und in Fichtes Reden an die deutsche Nation zum Ausdruck kommt. Politik ist danach immer eigentlich Erziehungswesen.
Wenn die Universität die Aufgabe hat, die zukünftigen Führer der Nation in die Zucht zu nehmen, dann müssen auch die akademischen Lehrer zum Führen berufen sein. Wie aber soll das geschehen? Die Lehrerschaft der Universität, so sagt Heidegger, muss “vorrücken in den äußersten Posten der Gefahr der ständigen Weltungewißheit. Hält sie dort stand,… dann wird sie stark zur Führerschaft.” (S. 14) Die gegenwärtige Universität ist allerdings zu diesem Zwecke ungeeignet. Sie ist von “Unbekümmertheit, Beliebigkeit der Absichten und Neigungen, Ungebundenheit im Tun und Lassen bestimmt.” (S. 15) Die sogenannte “akademische Freiheit”, nach der jeder tun und lassen kann, was er will, ist unecht und “muß aus der deutsche Universität verstoßen” werden. (Ebda.) Durch sie ist die modern Universität in eine “Verkapselung der Wissenschaften in gesonderte Fächer”, in eine “ufer- und ziellose Zerstreuung in vereinzelte Felder und Ecken” geraten. Es bedarf größter Anstrengung, sie von diesem Fehlweg zurückzubringen; erst so können die akademischen Lehrer wieder zu echten Führern der künftigen Führer und Hüter des deutschen Volkes werden. Heidegger erklärte:
Die Gefolgschaft der Lehrer und Schüler erwacht und erstarkt allein aus der
wahrhaften Verwurzelung im Wesen der deutschen Universität. Dieses Wesen
aber kommt erst zu Klarheit, Rang und Macht, wenn zuvörderst und
jederzeit die Führer selbst Geführte sind – geführt von der Unerbittlichkeit
jenes geistigen Auftrags, der das Schicksal des deutschen Volkes in das
Gepräge seiner Geschichte zwingt. (S. 9)
Und damit sind wir am eigentlichen und springenden Punkt von Heideggers Darstellung. Denn in der Verlorenheit der modernen Universität verlangt die Bestimmung des geistigen Auftrags, der die Lehrer und Schüler führen soll, selbst wiederum Führer. Diese Führung muss aus einem Verständnis davon kommen, was das Wesen der Universität und was das Wesen der Erziehung ist, und das heißt wiederum auch aus einem Verständnis davon, was Wissen ist. Damit sind wir dann bei einer eigentlich philosophischen Thematik. Was not tut, ist jetzt nach Heidegger die philosophische Führung. Und mit dieser Überlegung im Sinn können wir endlich auch den ungeheuren Anspruch verstehen, der im noch nicht zitierten ersten Satz von Heideggers Rede liegt. Der heißt:
Die Übernahme des Rektorats ist die Verpflichtung zur geistigen Führung
dieser hohen Schule. (S. 9)
Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass für Heidegger die Universität im Mittelpunkt der von ihm konstatierten abendländischen Krise steht und wenn er sich selbst zur geistigen Führung dieser Universität verpflichtet sieht, dann wird klar, warum er seine Einführung in das Rektorat als Großdrama inszenierte mit sich selbst in der Hauptrolle und warum er Hitler und die nationalsozialistische Partei mit keinem Wort in seiner Rede erwähnt. Das heißt keineswegs, dass er sich in irgendeiner Weise von der politischen Periode distanziert, oder dass er zum Nationalsozialismus selbst auf Distanz gehen will. Er will wohl den Nationalsozialismus, aber seine eigene, philosophische Variante oder Interpretation. Und in dieser Variante stehen die Philosophie und er selbst irgendwie im Mittelpunkt der Dinge. In dieser Zeit soll er, wie es heißt, auch einmal an Hitler persönlich geschrieben haben, mit dem Vorschlag eines privaten Treffens. Hitler und er selbst, so mag er sich damals vorgestellt haben, hätten beide Verantwortung für die Führung des deutschen Volkes: Hitler die politische und er selbst die geistige. Hitler hat, soweit wir wissen, nie auf diese Initiative reagiert. Sie beweist aber, wenn diese Korrespondenz stattgefunden hat, nicht nur wie politisch naiv Heidegger damals war sondern auch welch einzigartige Einschätzung des Verhältnisses von Philosophie und Politik, von Wahrheit und Macht er damals gehabt hat.
Heidegger beließ es nicht mit der allgemeinen Vorstellung, dass er die geistige Führung der Freiburger Universität und damit auch eines viel weiteren, vielleicht eines globalen Verantwortungsbereiches übernommen hätte. Er hatte zugleich ganz genaue Ideen darüber, wie die Universität zu reformieren sei. In seinen späteren Reflektionen zu seinem Rektorat hat er den theoretischen Teil seiner Rede von damals in den folgenden vier Punkten zusammengefasst.
Die Begründung der Wissenschaften in der Erfahrung des Wesensbereiches
ihrer Sachgebiete.
Das Wesen der Wahrheit als Seinlassen des Seienden, wie es ist.
Bewahrung der Überlieferung des Anfangs des abendländischen Wissens
im Griechentum.
Demgemäß die abendländische Verantwortung. (Tatsachen und Gedanken, S.
27f.)
Wesentlich für Heidegger war also zunächst einmal das Zurückgehen auf die Griechen, denn ihnen, so erklärte er, war Wissen nicht irgendein “Kulturgut”, “sondern die innerst-bestimmende Mitte des ganzen volklich-staatlichen Daseins. Wissenschaft ist ihnen auch nicht das bloße Mittel der Bewußtmachung des Unbewußten, sondern die das ganze Dasein scharfhaltende und umgreifende Macht.” (R, S. 12) Wissen ist für die Griechen, so könnten wir Heideggers Bemerkung zusammenfassen, sowohl etwas Politisches wie etwas Existentielles. Auf den Einwand, dass Griechisches Denken schon weit zurückliege, antwortet er sich selbst: “Der Anfang ist noch. Er steht nicht hinter uns als das längst Gewesene, sondern er steht vor uns. Der Anfang ist als das Größte im voraus über alles Kommende und auch so über uns schon hinweggegangen.” Dabei erkennt er zugleich an, dass es seit den Griechen doch eine große Wandlung in unserem Wissensverständnis gegeben hat. Die begann, nach Heidegger, mit Nietzsche, der uns dazu gezwungen hat, mit der “Verlassenheit des heutigen Menschen inmitten des Seienden” Ernst zu machen. Das Ausharren der Griechen vor dem Seienden hat sich dabei “zum völlig Ausgesetztsein in das Verborgene und Ungewisse, d.i. Fragwürdige” gewandelt. (S. 13) Wissenschaft ist so ein fragendes, ungedecktes Standhalten inmitten der Ungewissheit des Seienden im Ganzen. Geist ist “ursprüngliche gestimmte, wissende Entschlossenheit zum Wesen des Seins.” Und die geistige Welt eines Volkes ist “die Macht der tiefsten Bewahrung seiner erd- und bluthaften Kräfte als Macht der innersten Erregung und weitesten Erschütterung seines Daseins.” Heidegger will, in anderen Worten, die deutsche Universität mit Hilfe von Nietzsche und den Griechen auf existenzphilosophischer Basis neu konstituieren. Die Wissenschaften sollen rekonstruiert werden mit Bezug auf die “weltbildenden Mächte des menschlich-geschichtlichen Dasein, als da sind: Natur, Geschichte, Sprache; Volk Sitte, Staat; Dichten, Denken, Glauben; Krankheit, Wahnsinn, Tod; Recht, Wirtschaft, Technik.” (S. 13f.) Heideggers Nationalsozialismus war also, wie damit klar wird, existenzphilosophischer Art und sollte von diesem philosophischen Ansatz her Universität, Politik, und Gesellschaft durchdringen.
Man staunt heute über die Verwegenheit dieses Entwurfs. Es scheint insgesamt eine Zeit des Größenwahns gewesen zu sein. Hitlers global-politische Pläne, Rosenbergs welthistorische Phantasien vom Ursprung der Arier in einem versunkenen Atlantis und ihrer Wanderung über die Kontinente, die Sowjetischen Aspirationen auf eine kommunistische Weltrevolution, Mussolinis Träume von einem neuen römischen Imperium, und nicht zuletzt Heideggers Pläne einer existenzphilosophischen Neuordnung der Gesellschaft, die wahnhaft überzogenen Einfälle, die er in dieser Zeit in seinen privaten und jetzt notorisch publiken Schwarzen Heften aufgezeichnet hat, sie alle haben die gewaltigen Perspektiven gemeinsam, die übereinfachen Antworten, und die wirklichkeitsfremden Intentionen. Alle diese Träume mussten natürlich am Ende zerplatzen und Heidegger war der erste, der von seinem Traum erwachte. Schon bald nach der Rektoratsübernahme merkte er, dass der gewöhnlichste Parteibonze mehr Einfluss auf die Geschäfte der Universität hatten als er je. Er merkte auch den erbitterten Widerstand seiner Kollegen, die bereit gewesen waren, die politischen Umwälzungen zu tolerieren, die sich aber allen Plänen zu einer radikalen Änderung im inneren Aufbau der Universität und der Wissenschaften selbst hartnäckig widersetzten. Es gelang Heidegger zwar, die alte Universitätsverfassung durch eine neue zu ersetzen, in welcher der Rektor auf Dauer amtieren konnte und in der Theorie als ein Führer der Universität ohne seine Kollegen bei Personalfragen und anderen wichtigen Entscheidungen fragen zu müssen, aber in Wirklichkeit war Heidegger nicht in der Lage an bestehenden Machtpositionen im Universitätssystem zu rütteln. Nach einem Jahr gab er enttäuscht auf, nicht weil er den Glauben an Hitler verloren hatte oder den Glauben an seine eigene Version des Nationalsozialismus, sondern weil er sich nicht hatte praktisch durchsetzen können.
2.
Heideggers politisches Engagement hat einen Dauerschatten auf seine Person wie auch sein Werk geworfen , einen Schatten, der sobald nicht weichen wird. Dabei hatte er es keineswegs nötig gehabt, sich selbst und sein philosophische Werk dermaßen auf die politische Waagschale zu legen. 1927 hatte der damals unbekannte 38 jährige Professor mit der Veröffentlichung von Sein und Zeit die philosophische Öffentlichkeit in Erregung gebracht. Seitdem galt er als einer der viel-versprechenden deutschen Philosophen – ein Autor, der die gesamte philosophische Tradition in Frage stellte, der die radikale philosophische Methodik seines eigenen Lehrers, Edmund Husserl noch einmal weiter radikalisierte, der bis zuvor noch nie gehörte Themen in die Philosophie einbrachte, und der dies alles in einer ganz eigenwilligen, expressionistisch anmutenden Sprache tat. Der amerikanische Philosoph Richard Rorty hat einmal gesagt, dass unser ausgehendes Jahrhundert sich in philosophischer Hinsicht glücklich schätzen darf, weil es zwei Genies hervorgebracht hat, nämlich Martin Heidegger und Ludwig Wittgenstein. Einen solchen Weltruf hatte Heidegger natürlich im Jahre 1933 noch nicht; der sollte erst nach dem Krieg kommen; aber die Grundlagen zu diese Reputation waren schon damals gelegt und so hätte Heidegger 1933 leicht beiseite stehen können, hätte seinen Namen nicht zu riskieren brauchen, hätte sich ganz auf seine philosophische Zukunft konzentrieren können, eine Zukunft, die er später gezwungen war, von den Ruinen seiner politischen Vergangenheit zu bergen.
Es ist schon viel darüber gerätselt worden, wie es zu diesem Debakel kommen konnte. Dabei gibt es allerdings auch viel Fragwürdiges in dieser Debatte. So, insbesondere, die Freude am Anrüchigen und Skandalösen. Wir delektieren uns an den Fehlern und Fehltritten anderer insbesondere, wenn es sich um berühmte, bedeutende, oder große Menschen handelt. Wir haben es gerne, wenn sie in die Gosse heruntergezogen werden und dabei kommt es gar nicht darauf an, ob sie nun Filmstars, amerikanische Präsidenten, oder deutsche Philosophen sind. Wenn man aber nun einmal über diese Art von Skandalwirtschaft hinweg geht, dann dreht es sich doch bei der Diskussion von Heideggers politischer Vergangenheit erst einmal darum zu verstehen, wie ein zweifellos bedeutender Denker in solche Verirrungen geraten konnte.
Die gängigen Erklärungsversuche lassen sich leicht in zwei verschiedene Gruppen aufteilen, denn eine Gruppe versucht Heideggers Handeln mit Hinweis auf spezifisch philosophische Ideen zu erklären, während die andere Gruppe nicht-philosophische, d.h. insbesondere moralische, psychologische, oder soziologische Kategorien zur Erklärung heranzieht. Ich will Ihnen erst einmal kurz von Erklärungen dieses zweiten Typus berichten, denn die sind oft recht primitiver Art und können schnell beiseite gesetzt werden. Am Pol der größten Naivität liegen, wahrscheinlich, undifferenzierte moralische Urteile, die Heideggers Verhalten einfach auf einen Charakterfehler zurückführen. So hat der bereits genannte Richard Rorty einmal gesagt, dass Heidegger leider nun eben ein schlechter Mensch gewesen sei, dass dies aber in keiner Weise die Resultate seines philosophischen Denkens beeinträchtige. Diese simplifizierende Ansichtsweise erklärt aber in Wirklichkeit gar nichts. Machen gute Menschen nicht auch politische Fehler und kann sich die Schlechtigkeit eines Menschen nicht doch auch wieder in seinem Denken reflektieren? Mit moralischen Überlegungen sind dann auch häufig individualpsychologische Erklärungen verbunden. Ich greife nur eine davon heraus. Sie heißt, dass Heidegger unter dem Einfluss seiner Frau, Elfriede, gestanden habe. Die kam von einer konservativen preußischen Militärsfamilie und war von Anfang bis Ende ein großer Bewunderer des Führers. Hier sollen also die böse Ehefrau und ihr Einfluss auf den schwachen Mann als Erklärungsmodell herhalten. Abgesehen davon, dass solche Erklärungen rein spekulativer Art sind, verbleiben sie allgemein auf dem Niveau von Trivialliteratur. Gehaltreicher sind da schon Erklärungen, die spezifisch soziologische Begriffe heranziehen. So beschreiben manche Texte, wie Heidegger aus einem ärmlichen Milieu kommend von sozialem Ressentiment und gesellschaftlicher Unsicherheit motiviert gewesen sein, wie er in einer besonders reaktionären Form des Katholizismus aufgewachsen sei, dessen Verhältnis zur Moderne und zur Demokratie radikal negativer Art war.
Der entscheidende Einwurf gegen alle diese Erklärungsformen, die moralischen, psychologischen, und soziologischen, ist aber nun, dass keine von ihnen sich in irgendeiner Weise auf Heideggers philosophisches Denken bezieht. Sie könnten genauso gemacht werden, wäre Heidegger ein Metzger oder Bäckermeister gewesen. Heideggers politisches Verhalten im Jahre 1933 bei der Übernahme des Rektorats war aber durchaus philosophisch motiviert. Seinem früheren Schüler Karl Löwith hat er 1936 in der Tat in Rom erklärt, dass sein Nationalsozialismus direkt aus seinem philosophischen Verständnis komme. Das heißt natürlich nicht, dass Heideggers ganzes Denken politisch kontaminiert ist, zeigt aber doch, dass man in seinem Fall nicht mit Erklärungskategorien auskommen kann, die am philosophischen Werk vorbeigehen. Wie steht es nun um die Verknüpfung von Heideggers Werk und seinem politischen Verhalten? Es gibt drei Versuche, sie miteinander zu verflechten.
Der erste und älteste Ansatz stammt von Karl Löwith, der ihn schon 1936 formuliert hat, zu der Zeit wo er als Emigrant in Rom lebte und sich dort mit Heidegger traf. Der befand sich damals gerade auf einer Vortragsreise. Löwith begleitete seinen früheren Lehrer nun durch Rom, der sich nicht genierte bei diesen Spaziergängen mit einem deutschen Juden das Naziparteiabzeichen stolz an der Brust zu tragen. Es war auch bei dieser Gelegenheit, dass er Löwith gestand, noch immer an Hitler und den Nationalsozialismus zu glauben. Das war mehr als ein Jahr nach der Niederlegung seines Rektorats. Kritisch sagte er zwar, dass es im neuen Reich zu viel Bürokratie gebe. Aber das passte natürlich zu den Gründen, die zu seiner Resignation des Rektorats geführt hatten. Heidegger sagte zugleich aber noch, dass seine überwiegend positive Haltung zu diesem Staat direkt aus seiner Philosophie komme und zwar, insbesondere, aus seinem Begriff der Geschichtlichkeit. Es war genau an diesem Punkt, an dem Löwiths Kritik seines alten Lehrers einhakte. Für Heidegger ist alles geschichtlich, so sagte er sich; es gibt keine überhistorischen Maßstäbe, keine absoluten Normen und Werte, die das Handeln bestimmen können. Es gibt nur die augenblickliche Entscheidung, die Entschlossenheit zum Engagement und es ist genau diese Entschlossenheit, die Heidegger politisch motiviert hat. In einem Artikel, den er im selben Jahr noch in der deutschen Emigrantenzeitschrift Internationale Zeitschrift für Theorie des Rechts unter dem Pseudonym H. Fiala veröffentlichte, attackierte er Heidegger daher als einen opportunistischen Dezisionisten. Der Artikel war offiziell einer Kritik Carl Schmitts gewidmet; das Ziel von Löwiths Bemerkungen war aber zugleich auch Heidegger. Schmitt, so schrieb Löwith-Fiala ungefähr, repräsentiert eine Politik der souveränen Entscheidung, deren Inhalt nur durch die zufällige Konstellation der jeweiligen Lage bestimmt ist, nicht durch “die Macht eines echten Wissens” von dem, was in ursprünglicher Weise recht und richtig ist und aus dem die Ordnung der menschlichen Dinge sich ergibt. Löwith fuhr fort, dass ein solcher Dezisionismus keinesfalls auf Schmitt beschränkt sei, dass er im Gegenteil die gesamte dialektische Theologie wie auch die Philosophie der Existenz in sich einbeziehe. Schmitts Grundbegriff der politischen Existenz entspreche genau der Heideggerschen Existentialontologie. Zehn Jahre später setzte Löwith dann noch hinzu, dass die Hauptattraktion von Heideggers Denken in den zwanziger Jahren in einer thematischen Unbestimmtheit und Reinheit gelegen habe, in einer Konzentration auf die Sache, auf die es ankommt, die sich erst später als eine inhaltslose Entschlossenheit herausgestellt habe. Diese Art von Entschlossenheit habe zugleich das Wesen des Nationalsozialismus ausgemacht. Heideggers Unterstützung dieser Revolution des Nihilismus sei daher kein Zufall gewesen. “Sie entspricht im Gegenteil genau dem radikalen Charakter der geschichtlichen Lage, mit der sich der Heideggersche Existentialismus, zeitlich und geschichtlich, identifizierte.” (Les Temps Modern, 1946-47)
Löwiths Analyse ist häufig wiederholt worden, zuerst in Christian von Krockows Buch Die Entscheidung von 1958, in dem Heidegger, Schmitt und Ernst Jünger als Dezisionisten zusammengebracht werden. Jeder von den dreien hat nach Krockow schließlich diesen Dezisionismus modifiziert. Jünger hat es getan, ehe es überhaupt für ihn zu einem Übereingehen mit dem Nationalsozialismus kommen konnte, Heidegger und Schmitt erst danach. Die These, dass Heidegger ein opportunistischer Dezisionist gewesen sei, dass sein politisches Engagements sich aus seiner philosophischen Verneinung objektiver, transhistorischer Normen und Werte erklären lasse, ist später dann verschiedentlich von Jürgen Habermas wiederholt und durch ihn an die ausführliche amerikanische Heidegger-Diskussion weitergereicht worden, insbesondere an Martin Jay, Richard Wolin, und Tom Rockmore.
Einen zweiten Erklärungsversuch hat kurz nach dem Krieg Georg Lukacz in seinem Buch Die Zerstörung der Vernunft unternommen. Das Werk will sich mit dem “Weg Deutschlands zu Hitlers auf dem Gebiet der Philosophie” befassen. “Das heißt, es soll gezeigt werden, wie dieser reale Gang sich in der Philosophie wiederspiegelt, wie philosophische Formulierungen als gedanklicher Widerschein der realen Entwicklung Deutschlands zu Hitler diesen Gang beschleunigen halfen.” (1962, S. 10) Lukacz entdeckt dabei “den Irrationalismus als die entscheidende Hauptströmung der reaktionären Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts.” (S. 16) Dieser ist zwar ein gesamteuropäisches Phänomen, findet aber seine eigentliche Realisierung im deutschen Denken. Der Irrationalismus ist zwar eine internationale Erscheinung, “jedoch nur äußerst selten, vereinzelt, episodisch werden daraus alle Konsequenzen gezogen, wird der Irrationalismus zu einer derart allgemein herrschenden Richtung wie in Deutschland.” (S. 21) Dieser Irrationalismus beginnt in Deutschland mit Schelling und schließt dabei alle wesentlichen deutschen Denker ein, sodass Lukacz ohne Bedenken von einem großen Strom sprechen kann, “der von Schelling zu Hitler geht.” (S. 17) Für ihn tragen Hitler und Rosenberg einfach “alles was über irrationalen Pessimismus von Nietzsche und Dilthey, bis Heidegger und Jaspers auf den Lehrstühlen, in den intellektuellen Salons und Cafes besprochen wurde, auf die Straße.” (S. 78) Heidegger und Jaspers werden, unter diesen Vorzeichen, zusammen als Repräsentanten eines “Aschermittwoch des parasitären Subjektivismus” abgehandelt. “Dabei bleibt es ziemlich gleichgültig,” schreibt Lukacz, “wie sie beide zum Hitlerismus persönlich Stellung genommen haben… Daß also Heidegger offen als Faschist auftrat, während Jaspers aus rein privaten Gründen nicht dazu kommen konnte, … ändert an dem grundlegenden Tatbestand nichts. Mit dem Sachgehalt ihrer Philosophie bleiben beide Wegbereiter des faschistischen Irrationalismus.” (S. 457) Ich will mich hier nicht mit dieser unnötigen und sachlich falschen Verunglimpfung von Jaspers aufhalten. Weil eben alles in das globale Schema passen muss, das Lukacz entworfen hat, wird Jaspers ebenso wie Heidegger zum Irrationalisten und Wegbereiter des Faschismus. (S. 720) Bei Heidegger hat Lukacz es allerdings nicht schwer; er kann insbesondere auf dessen wiederholte Kritik der Logik und der Vernunft hinweisen. Genüsslich zitiert er den letzten Satz von Heideggers Aufsatz “Über Nietzsches Wort ‘Gott ist tot'”, in dem es heißt: “Das Denken beginnt erst dann, wenn wir erfahren haben, daß die seit Jahrhunderten verherrlichte Vernunft die hartnäckigste Widersacherin des Denkens ist”. Lukacz macht sich allerdings keine Mühe, diesen bewusst provokativen Satz weiter zu erhellen. Er nimmt ihn wörtlich und als Beweis von Heideggers durchgängigem Irrationalismus. Dass Heidegger selbst dabei einen Standpunkt jenseits von Irrationalismus und Rationalismus suchte, wird mehr oder weniger ignoriert. Heideggers Einstellung zum Nationalsozialismus ist für Lukacz die logische Konsequenz seiner Vernunftkritik. Der Nationalsozialismus ist das Produkt einer langen Geschichte irrationaler Motive im deutschen Denken, die seit der Romantik zunehmend radikalisiert wurden. Heidegger gehört in diese Geschichte. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Heidegger bei Hitler gelandet ist, denn er hat mit seinem Irrationalismus “ideologisch geholfen, den Nazismus herbeizuführen”. (S. 720)
Auch dieses Erklärungsmuster, ebenso wie das von Löwith konstruierte, hat Anhänger gefunden. Bei Habermas und anderen ist Heideggers politisches Verhalten immer wieder mit seinem sogenannten Irrationalismus in Verbindung gebracht worden. Es gibt aber noch einen dritten Erklärungstyp, und der findet sich in Pierre Bourdieus Abhandlung über Die politische Ontologie Martin Heideggers, erstmals in 1975 veröffentlicht. Für Bourdieu ist das wesentliche Moment weder Heideggers Dezisionismus noch sein Irrationalismus, sondern vielmehr seine Gegnerschaft zum Neukantianismus. Heidegger ist seiner Ansicht nach ein politischer Rebell, der sich gegen die herrschende Strömung der deutschen Philosophie seiner Zeit auflehnt und dabei gezwungen ist, radikale Gegenpositionen zu entwickeln. Der Neukantianismus steht nun nach Bourdieu unter dem Zeichen einer aufgeklärten, rationalen, und politisch liberalen Weltansicht. Gegen alle diese Annahmen muss Heidegger sich also auflehnen und so wird er zwangsweise zum geistigen Vertreter einer “konservativen Revolution” in Deutschland. Diese politische Thematik findet sich, nach Bourdieu, überall in Heideggers Werk, sogar in den anscheinend unpolitischen Passagen von Sein und Zeit, denn wenn Heidegger dort zum Beispiel von der existenziellen Eigentlichkeit spricht, da meint er in Wirklichkeit immer schon den bürgerlichen Eigentumsanspruch. “Das gesamte philosophische Unternehmen Heideggers kann verstanden werden als ein (philosophisch) revolutionärer Gewaltstreich mit dem Ziel, innerhalb des Feldes der Philosophie eine neue Position zum Tragen zu bringen,” schreibt Bourdieu. (S. 85) Bourdieu besteht darauf, und nicht nur im Falle von Heidegger, dass “die Trennung von politischer und philosophischer Lektüre… aufzugeben” ist. (S. 75) Indem er Heidegger zum philosophischen und politischen Gegenspieler des aufgeklärten und rationalen Neukantianismus macht, entdeckt er auch seinen eigentlichen Opponenten in Ernst Cassirer. Die philosophische Debatte der beiden im Schweizer Kurort Davos im Jahre 1929 wird so, genau wie es Ernst Cassirers Frau später dargestellt hat, zur Auseinandersetzung nicht nur zwischen zwei grundlegend verschiedenen philosophischen Ideensystemen sondern zwischen zwei politischen Weltauffassungen. Daß es den beiden damals überhaupt nicht um politische Dinge ging, ist für Bourdieu unbedeutend, weil der ganze gelehrte Diskurs für ihn stets und unabdingbar einen politischen Subtext hat.
Die Erklärungsmuster des Heidegger-Falles, die Löwith, Lukacz und Bourdieu uns angeboten haben, sind oft genug wiederholt worden. Man könnte sie, wenn man wollte, vielleicht zu einer einzigen globalen Erklärung verknüpfen. Denn man könnte argumentieren, dass die Annahme objektiver transhistorischer Normen und Werte direkt in der Vernunft gegründet ist, und dass der Neukantianismus der historische Vertreter der Kantischen Vernunftlehre ist. Man hätte so eine einzige, integrale Auffassung, mit deren Hilfe man Heideggers Feindschaft gegen den Neukantianismus, seine Kritik der Vernunft, und seine Zurückweisung objektiver Werte in einem einzigen Streich erklären könnte. Und mit dieser Theorie hätte man dann auch, wie Löwith, Lukacz, und Bourdieu es vorexerziert haben, eine umfassende Erklärung von Heideggers politischem Verhalten. – Wenn, heißt das, die Sachen nur so einfach wären. Denn in Wirklichkeit sind alle diese Erklärungen sowohl begrifflich wie historisch unzureichend.
Ich will hier nur kurz auf die begrifflichen Schwierigkeiten dieser drei Erklärungsansätze eingehen, denn hier sind die Überlegungen notwendigerweise spekulativ und daher auch kontrovers. Einwände, die sich auf die historischen Umstände beziehen, erweisen sich dagegen bei näherem Zuschauen, als definitiv. Sie zeigen uns, wie wir sehen werden, dass keines der drei genannten Erklärungsmodelle zureichend ist und dass es sich daher bei Heideggers Politik noch immer um ein ungeklärtes Phänomen handelt.
Zu den begrifflichen Schwierigkeiten möchte ich nur das folgende sagen. Zum ersten ist es gar nicht klar, dass Heidegger mit seiner Kritik an der Annahme objektiver, transhistorischer Normen und Werten Unrecht hat. Von ganzer anderer Seite herkommend als Heidegger, leuchtet mir diese Kritik durchaus ein. Von ganz anderer Seite herkommend, denn im Unterschied zu Heidegger glaube ich nicht, dass wir uns in unseren philosophischen Überlegungen der naturwissenschaftlichen Einsichten verschließen sollten/können, nach denen die Welt ein System von Kräften und Massen ist, der Mensch ein Produkt evolutionärer Prozesse, und das Bewusstsein eine Funktion von Vorgängen in unserem Gehirn. Dabei bin ich mir durchaus bewusst, dass diese Auffassungen auch theoretische Konstruktionen sind; sie sind aber die besten, die wir heute zur Verfügung haben. Nennen Sie mich also, wenn sie wollen, einen Naturalisten oder Positivisten. Dieser Naturalismus oder Positivismus findet sich aber nun mit Heidegger in voller Übereinstimmung in Bezug auf seine Wertkritik; denn wo sollten solche Werte residieren, wie sollten sie für uns von Bedeutung sein, mit welchen Organen würden wir sie erkennen? Wir können Heideggers Wertekritik also nicht für sein falsches politisches Verhalten verantwortlich machen, denn es gibt keinen notwendigen Zusammenhang zwischen dieser Kritik und den Anhängerschaft an den Nationalsozialismus, positivistische Wertkritiker wie Carnap, Schlick, und Neurath waren Gegner und Opfer des Nationalsozialismus, nicht seine Anhänger.
Entsprechendes lässt sich auch von Heideggers kritischen Bedenken zum Begriff der Vernunft sagen. Auch die kann man nicht einfach aus politischen Gründen vom Tisch fegen. Wir sollten uns dabei klar sein, dass es in dem berühmten und berüchtigten letzten Satz von Heideggers seines Nietzsche-Aufsatzes, dem Satz, auf den Lukacz sich so wesentlich bezieht, gar nicht um eine pauschale Verunglimpfung der Vernunft geht, sondern um die Kritik einer seit Jahrhunderten verherrlichten Vernunft. Wie sich beim Lesen des Aufsatzes selbst herausstellt, wendet sich Heidegger sich hier gegen einen Vernunftanspruch, der über die letzten Jahrhunderte hinweg absolut und dominierend geworden ist, der keinen Platz mehr lässt für irgendetwas anderes, sei es philosophisches Denken und Meditieren, sei es Dichtung und reflektierendes Schweigen. Heideggers Kritik bezieht sich auf ein technologisches und technokratisches Vernunftverständnis, das von anderer Richtung her auch von Horkheimer und Adorno in Frage gestellt worden ist und in neuerer Zeit aus wieder anderer Perspektive auch von Paul Feyerabend. Es ergibt sich also auch hier, was wir schon bei der Reflektion über Heideggers Wertekritik entdeckt haben. Man kann seine Bemerkungen zum Vernunftkritik nicht für sein nationalsozialistischen Engagement verantwortlich machen, ohne vorher geprüft zu haben, wie es mit dieser Kritik eigentlich steht. Und auch hier ist an den Beispielen von Horkheimer, Adorno, und Feyerabend klar, dass Vernunftkritik nicht unbedingt mit einem nationalsozialistischen Engagement zusammengeht.
Auch der dritte philosophische Ansatz zur Erklärung von Heideggers politischem Verhalten ist problematisch. Nehmen wir einmal, mit Bourdieu, an, dass Heideggers Denken wesentlich durch seine Gegnerschaft zu einem dominierenden Neukantianismus geprägt gewesen war und dass dieser Neukantianismus durchgehend für eine liberale und demokratische Weltauffassung stand. (Beides, wie sich herausstellt, sind fragliche Annahmen.) Selbst dann folgt es nicht, dass Heidegger in seiner Opposition gegen den Neukantianismus gezwungen gewesen war, sich im Namen einer konservativen Revolution gegen Liberalismus und Demokratie stark zu machen. Statt rechts vom Neukantianismus abzubiegen hätte er ja ebenso politisch nach links abbiegen können. Diese Möglichkeit ist in Bourdieus Argumentationsmodell nicht ausgeschlossen und seine Überlegungen sind daher kaum zwingend. Zusätzlich bleibt seine These, dass der gesamte gelehrte Diskurs nur eine Maske für politische Überzeugungen ist, ungeprüft und unplausibel.
Die Frage von Heideggers politischem Verhalten hat mich nun vor einer Reihe von Jahren dazu veranlasst, den Fall in ganz anderer Weise anzupacken. Ich habe mich nämlich gefragt, wie sich andere deutsche Philosophen und philosophisch orientierte Denker zu derselben Zeit verhalten haben, und habe mich dann insbesondere für diejenigen interessiert, die in irgendeiner Weise für Hitler und den Nationalsozialismus optierten haben. Man kann hier eine lange Reihe von Namen nennen: Alfred Baeumler, Bruno Bauch, Oskar Becker, Hugo Dingler, Hans Freyer, Arnold Gehlen, Gerard Gentzen, Hermann Glockner, Heinrich Hartle, Nikolai Hartmann, Heinz Heimsoeth, Hans Heyse, Erich Jaensch, Ernst Krieck, Gerhard Lehmann, Richard Oehler, Carl Schmitt, Hermann Schwarz, und Max Wundt. Heidegger war jedenfalls kein Einzelfall in seinem politischen Einsatz für den Nationalsozialismus. Und daher sind alle Erklärungsversuche des Heidegger Falles, die sich ausschließlich auf seine persönlichen Denk- und Lebensbedingungen beziehen, unzureichend. Die These, dass Heidegger nun einmal ein schlechter Mensch war, verliert ihre Anziehungskraft, wenn man auf die beträchtliche Zahl seiner Kollegen blickt, die ihm damals gleichgetan haben. Waren sie alle schlechte Menschen? Oder hatten sie etwa alle böse Ehefrauen? Oder kamen sie alle aus niedrigen Verhältnissen? Oder waren sie alle in einem antimodernistischen Katholizismus groß geworden? Nichts von dem ist natürlich der Fall.
Dabei stellt sich zugleich heraus, dass diese Denker keineswegs nur zu einer philosophischen Schule oder Richtung gehörten. Es gab zwar nationalsozialistisch eingestellte Philosophen die, wie Heidegger, existenzphilosophisch orientiert waren, es gab aber auch nationalsozialistisch orientierte formale Logiker (Gerhard Gentzen), nationalsozialistische Phänomenologen, nationalsozialistische Idealisten und nationalsozialistische Realisten; nationalsozialistische Metaphysiker und nationalsozialistische Positivisten (Hugo Dingler), nationalsozialistische Philosophen, die naturwissenschaftlich orientiert waren und solche, die Naturwissenschaft gering einschätzten; es gab nationalsozialistische Scholastiker und nationalsozialistische Nietzscheaner. Das Spektrum der philosophischen Meinungen war also sehr breit im Nazisystem: allein nationalsozialistische Marxisten gab es wohl nicht, obwohl es einmal eine nationalbolschewistische Variante gegeben hat.
Es lohnt sich hier einen Blick auf einen Mann zu werfen, der als Philosoph inzwischen vergessen ist (und das mit Recht, würde ich sagen), an den man sich aber erinnern muss, um die politische Lage der deutschen Philosophie im Jahre 1933 und insbesondere ihre Verflechtung mit dem Nationalsozialismus zu verstehen. Ich will einen Schritt weitergehen und hinzufügen, dass man Heideggers politisches Verhalten zu dieser Zeit überhaupt nicht verstehen kann, ohne von diesem Mann zu sprechen. Denn er ist in gewisser Weise 1933 die Gegenfigur zu Heidegger gewesen ist
Es handelt sich um Bruno Bauch, der für viele Jahre Professor der Philosophie an der Universität Jena war. Bauch war Neukantianer, ein Verteidiger des kantischen Vernunftbegriffes, und vor allem ein objektiver Werttheoretiker. Darüberhinaus war er auch ein politischer Agitator und Organisator, der sich seit dem ersten Weltkrieg intensiv für die rechts-konservative und nationale Sache einsetzte. Schon lange vor 1933 vereinte er sich mit anderen nationalistisch-gesinnten Elementen zu einer philosophisch-politischen Bewegung. Nach Hitlers Machtübernahme wurde er zu einer der politisch einflussreichsten Gestalten in der deutschen Philosophie.
Die philosophische Bewegung, die Bauch 1918 gründete, nannte sich die Deutsche Philosophische Gesellschaft. Trotz ihres Namens war sie von Anfang keineswegs eine Gesellschaft für alle, die sich in Deutschland irgendwie mit Philosophie befassten. Sie war vielmehr eine Gruppierung, die auf dem spezifisch deutschen Gehalt des deutschen Philosophierens bestand. Sie pflegte aus diesem Grunde insbesondere die Tradition des deutschen Idealismus. Sie vertrat, durch ihre Führer ein organologisches Volksverständnis. Sie vertrat auch einen werttheoretischen Standpunkt und war, wie gesagt, politisch national ausgerichtet. Auch die DPG ist heute vergessen aber man muss sich ihrer erinnern, genau wie an Bruno Bauch, um die Situation der deutschen Philosophie im Jahre 1933 zu beurteilen. Dass sowohl Bauch wie seine DPG uns heute nichts mehr bedeuten, und dass nur noch Heidegger und sein unglückliches politisches Engagement uns im Auge sind, zeigt, wie schlecht es um unser Verständnis der Beziehungen zwischen deutscher Philosophie und dem Nationalsozialismus eigentlich steht. Im November 1933 organisierte die DPG einen Kongress in Magdeburg, an dem sie sich in dramatischer Weise hinter Adolf Hitler stellte. Die Hauptsprecher auf diesem Kongress, nämlich der Leipziger Psychologe Felix Krüger, und die Philosophen Bauch und Nikolai Hartmann, taten dies damals im Namen einer objektiven Ganzheits- und Werttheorie. Sie attackierten dabei zugleich Versuche wie Heideggers, die Existenzphilosophie als die wahre Philosophie des Nationalsozialismus darzustellen. In seiner historischen Bedeutung ist dieser Kongress jedenfalls ebenso wichtig wie Heideggers Rektoratsübernahme; nur dass es sich bei dieser Gelegenheit um die Loyalitätserklärung einer ganzer Gruppe deutsche Philosophen handelte, nicht um den Schritt eines einzelnen. Der Gegensatz zwischen Heidegger, auf der eine Seite, und Bauch mit seiner DPG, auf der anderen, illustriert, wie weit die Bandbreite der deutschen Philosophie und ihrem politischen Engagement damals war.
Wenn man diese Bandweite richtig sieht, dann erkennt man aber auch zugleich auch, warum die Erklärungsversuche von Heideggers Verhalten, die Löwith, Lukacz, und Bourdieu entwickelt haben, alle insgesamt fehlschlagen. Denn neben Heidegger, der die Annahme objektiver Werte kritisierte, gab es auch deutsche Philosophen, die sich im Namen einer objektiven Werttheorie dem Nationalsozialismus zuwandten. Neben Heidegger, der die Vernunft kritisierte, gab es deutsche Philosophen, die sich als Verteidiger und im Namen der Vernunft dem Nationalsozialismus anschlossen. Und neben Heidegger, der den Neukantianismus kritisierte, gab es eben auch Neukantianer, die Kant und Hitler in einem Namen nannten.
Nun ist man, angesichts dieser Tatsache vielleicht versucht, in zynischer Weise zu schließen, dass es möglicherweise gar keine innere Verbindung zwischen dem politischen Treiben dieser Philosophen und ihrem philosophischen Denken gibt, dass jeder von ihnen aus irgendwelchen konkreten und nicht-philosophischen Motivationen dazu gekommen war, Hitler und die Nazis zu unterstützen, und dass sich jeder dabei irgendeine Rechtfertigung mit Hilfe seines eigenen Ideensystems ausdachte (wozu Philosophen ja stets geneigt sind), dass es aber in keinem Falle eine integralen und notwendigen Zusammenhang zwischen Handeln und Idee gegeben hat. Das ist nun wiederum zu einfach und wird niemanden als den primitivsten Reduktionisten befriedigen. Handlung und Überzeugung sind sicher miteinanderverknüpft und der Nationalsozialismus war ja nicht nur ein Handlungs- sondern auch ein Ideensystem.
Ich schließe daher auf eine zweite Möglichkeit: nämlich die, dass diese deutschen Philosophen, die sich damals zum Nationalsozialismus bekannten, die aber andererseits auch durch scharfe Schulstreitigkeiten voneinander getrennt waren, dennoch gewisse gemeinsame philosophische Überzeugungen gehabt haben müssen und dass diese Gemeinsamkeiten erklären können, warum sie damals alle die gleichen politischen Entscheidungen im Namen ihres Philosophierens fällten. Dabei brauchen sich diese Beteiligten nicht einmal diese gemeinsamen Überzeugungen bewusst gewesen sein. Sie existierten vielleicht nur im Hintergrund ihres Denkens und bildeten dort die gemeinsame Basis auf dem sie ihre verschiedenen philosophischen Systeme errichteten. Wenn dieser Gedanke richtig ist, dann waren es also gar nicht irgendwelche spezifische Ideen in Heideggers Gedankengebäude, Ideen, die ihn von anderen Philosophen trennten, welche ihn in seinen politischen Handlungen motivierten, sondern Annahmen, die er mit diesen Anderen teilte. Ich nehme nun an, dass man wirklich solche gemeinsamen Basisannahmen isolieren kann. Nämlich, erstens, die Überzeugung, die alle diese Philosophen ganz offenbar teilten und die auch in Heideggers Rektoratsrede prominent ist, dass Philosophen zu einem besonderen Führertum berufen sind. Zum zweiten, die Annahme, dass die Philosophie die Aufgabe hat, die geistigen Grundlagen der ganzen Kultur zu bestimmen. Dies sind allerdings Ideen, die nicht nur in der deutschen Philosophie herumspuken; sie reichen bis in die griechischen Anfänge des westlichen Philosophierens zurück. Um das spezifische Verhalten der deutschen Philosophen, die sich mit dem Nationalsozialismus zusammentaten, zu verstehen muss man daher auf zweite weitere Ideenkomplexe aufmerksam machen. Der erste davon weist uns auf eine spezifisch moderne Idee hin, die aber im deutschen Denken besonders scharf ausgeprägt ist, nämlich die Überzeugung, dass sich die ganze westliche Kultur in einer großen, welthistorischen Krise befindet. Diese wird nun, im deutschen Rahmen, noch einmal spezifiziert durch die weitere Überzeugung, dass diese Krise ihren Mittelpunkt in Mitteleuropa, d.h. in Deutschland hat, und dass die Deutschen besonders berufen sind, diese Krise zu lösen. Summarisch gesprochen, sind es also die Ideen des philosophischen Führertums, der philosophischen Grundlegung der Kultur, der welthistorischen Krise, und der besonderen deutschen Sendung, die Heideggers politischem Engagement im Jahre 1933 und dem anderer deutscher Philosophen zugrunde liegt.
Es sollte dann aber auch klar sein, dass unser Fragen bezüglich Heideggers Politik und ihrem Verhältnis zu seiner Philosophie dabei zu einer Frage geworden ist, die die gesamte deutsche Philosophie dieser Periode betrifft. Dass dieses Philosophieren nach dem Ende der Nazizeit nie zu einem zentralen Thema geworden ist, scheint mir zum Schaden der deutschen Philosophie ausgefallen zu sein. Damit ist nämlich eine gewisse Unehrlichkeit in das deutsche Philosophieren gekommen. Man tat so, als ob das politische Engagement von 1933 nur ein Problem für Heidegger gewesen sei und vielleicht dazu noch für einige andere disreputable aber nun glücklicherweise vergessenen Individuen wie Alfred Baeumler und Ernst Krieck. Man konnte ein philosophisches Problem so personalisieren und damit philosophisch neutralisieren. Aber drängende philosophische Fragen lassen sich nicht so einfach beiseite setzen; wenn dies doch geschieht, dann verliert das philosophische Denken an Grund und wird sich selbst und den Tatsachen fremd. Und das ist ja leider dem deutschen Philosophieren am Kriegsende passiert, sodass sich die Philosophie in Deutschland seitdem dahinsiecht. Man braucht die deutsche Lage nur mit der in England, Amerika, oder auch Frankreich zu vergleichen um zu sehen, dass es bis heute mit der deutschen Philosophie im Argen liegt. Seit dem zweiten Weltkrieg ist die deutsche Philosophie in einer einzigartigen Phase der Restaurierung, in der alles Denken zu einer Wiederholung von etwas bereits Gedachtem gerät.
Die Frage ist, wie sich unter solchen Umständen ein Durchbruch in ein neues und originales Denken erreichen lässt. Nur dadurch, will ich sagen, dass man sich der eigenen Vergangenheit stellt, dass man die philosophische Problematik, die sich am 28. Mai 1933 mit Heideggers Rektoratsübernahme aufgetan hat, bewältigen lernt, dass man nicht vereinfachend die Schuld auf Heidegger selbst schiebt, sondern erkennt, dass an diesem Tage der Bankrott unseres traditionellen Philosophieverständnisses zu Tage gekommen ist.
Das Problem, dass uns Heideggers politisches Verhalten aufgegeben hat, lässt sich, so glaube ich wenigstens, nicht lösen, bis wir zu einem neuen Philosophieverständnis gefunden haben, in dem sich das Philosophieren nicht länger als geistiges Führer- und Expertentum ausgibt, in dem es nicht mehr um die Grundlegung und Rechtfertigung der Kultur geht, in dem sich Philosophie nicht wieder als Krisenmanagement versteht, in dem es auch, und das versteht sich vielleicht heute von selbst, das deutsche Philosophieren nicht mehr eine Ausnahmestelle für sich beansprucht. Eine solche Philosophie wäre antidoktrinär und womöglich antitheoretisch eingestellt, experimentell, fragend, kritisch gegen alles und am meisten gegen sich selbst, zeitgebunden, der eigenen historischen Kontingenz bewusst, gar nicht deutsch sondern eher international, und besser noch weltoffen und multikulturell. Sie dürfte durchaus gegenüber der Heideggerschen Werte- und Vernunftkritik offen sein; sie würde sich sicher der transzendentalen Gebärden enthalten aber sie würde sich auch nicht mit der Autorität der Heideggerschen Seinsfrage schmücken. Ansätze zu einem solchen Philosophieren gibt es. Es fragt sich nur, ob die Philosophie bereit ist, solch neue Denkabenteuer zu unternehmen.
Weiteres zu diesem Thema
Heidegger: suite sans fin,” in Le Messager Europeen, vol. 3, 1989
“Metadiscourse. German Philosophy and National Socialism,” in Social Research, Winter 1989
The Break. Habermas, Heidegger, and the Nazis,” Colloquies of the Center for Hermeneutical Studies, Berkeley 1992
Heidegger’s Crisis. Politics and Philosophy in Nazi Germany, Harvard 1993
“Die verfehlte Sendung”, in Der geistige Anschluss. Philosophie und Politik an der Universität Wien 1930-1950, ed. K. R. Fischer and F. M. Wimmer, Vienna 1993
“Filozofia I Polytika W Nazistowskich Niemczech,” in Odra, 1997
“Homelessness and Homecoming. Nietzsche, Heidegger, Hölderlin,” in India and Beyond. Festschrift for Frits Staal, Amsterdam 1996
“Heidegger and the Critique of Reason”, in What’s Left of Enlightenment?, ed. K. Baker and P. H. Reill, Stanford 2001
“Conflict is the Father of Everything: Heidegger’s Polemical Conception of Politics” in Heidegger’s Introduction to Metaphysics, ed. R. Polt and G. Fried, Yale U.P., New Haven 2001
“Heidegger’s Nietzsche,” in: The Blackwell Companion to Heidegger, ed. by
Mark Wrathall and Hubert Dreyfus, Blackwell Publishing, 2005